Auf dieser Seite fasse ich eine Artikelserie zusammen, die ich 2024/2025 für das Bulletin der EAASDC e. V. geschrieben habe.
Liebe Tänzer, liebe Leader,
viele von euch sind schon mal Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen beim Tanzen begegnet, denn Square Dance ist ein barrierefreier Tanzsport. Wenn wir die Rahmenbedingungen noch barrierefreier gestalten, wird die Teilhabe von Tänzer*innen mit Behinderung noch einfacher.
In dieser Artikelserie in sechs Teilen gebe ich hierzu wesentliche Informationen.
Grundlegende Informationen – Teil 1 von 6
Wir können die Teilnahme beim Square Dance nicht für alle Menschen mit Behinderungen ermöglichen. Deshalb lege ich Wert auf die begriffliche Unterscheidung zwischen Teilhabe und Inklusion. Darauf solltest du auch in Kontakten achten, um bei Interessierten keine falschen Hoffnungen zu wecken.
Wenn in deinem Club über das Thema gesprochen wird, ist es zunächst wichtig, die Barrieren in den Köpfen einiger Menschen abzubauen. Dies sind ablehnende Vorurteile, die sich bei einem realen Versuch nicht bestätigen.
Im zweiten Schritt geht es dann darum, Informationen barrierefrei zu veröffentlichen und den Tanzplatz zugänglich zu gestalten. Wenn dann noch Tänzer*innen und Leader ein paar kleine Hilfen geben, erreichen wir 10 bis 30 % mehr Menschen, die sich für unser Hobby interessieren.
Wer braucht welche Hilfe?
Ein erblindeter Mensch wird die Website deines Clubs nicht nutzen können, wenn diese nur mit einer Maus bedienbar ist. Ein Mensch mit Sehbehinderung wird die kleine und/oder verschnörkelte Schrift auf einem Flyer sehen, aber er kann sie nicht erkennen. Jemand, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist, braucht einen Zugang ohne Stufen. Wer eine Hörbehinderung hat, muss den Leader gut hören können.
Einige Behinderungen haben zur Folge, kein Auto oder Fahrrad fahren zu können. Die Mobilität ist dadurch eingeschränkt. Dies gilt insbesondere für Singles mit Behinderung.
Hinzu kommen Menschen mit unsichtbaren Einschränkungen. Mit etwas gutem Willen aller Beteiligten ist dies alles unproblematisch.
Gute Rahmenbedingungen
In den weiteren Beiträgen geht es also darum, wie dein Club barrierefrei informieren kann. An jedem Tanzplatz lassen sich zumindest kleinere Verbesserungen vornehmen, die keine baulichen Maßnahmen sind. Hilfreich ist es auf jeden Fall, wenn dein Club über die Zugänglichkeit informiert.
Im Square ist es für blinde und sehbehinderte Tänzer*innen hilfreich, wenn alle „sauber“ tanzen. Ebenso ist es hilfreich, wenn der Leader weiß, was für ihn und alle Tänzer*innen zu beachten ist.
Etwas Hilfe kann auch in Pausen und bei der Afterparty erforderlich sein. Einen freien Sitzplatz zu finden kann ebenso schwierig sein wie das Richtige zum Trinken und Essen.
Barrierefrei informieren – Teil 2 von 6
Jeder Tänzer hat seine eigene Geschichte dazu, wie er vom Square Dance das erste Mal erfahren hat. Mithilfe von Suchmaschinen ist es seit 25 Jahren kein Problem mehr, sich zu informieren und einen Club in Wohnortnähe zu finden. Als sehbehinderter oder blinder Interessent hört die digitale Barrierefreiheit zum Thema Square Dance aktuell jenseits der Suchmaschinen auf. Wenn eine Sehbehinderung noch eine visuell orientierte Nutzung des Internets zulässt, wird es in den meisten Fällen noch möglich sein, selbstständig zumindest Kontaktdaten zu recherchieren. Für Blinde, die allein auf eine vollständige Tastaturbedienung und Sprachausgabe angewiesen sind, ist dies aktuell nur mit sehender Hilfe möglich.
Für Interessenten, die auf einen Aktivrollstuhl angewiesen sind, ist dies kein Problem. Allerdings fehlen ihnen in aller Regel Informationen über die Zugänglichkeit des Tanzplatzes. Wichtig sind hierbei Informationen zu Parkmöglichkeiten, Eingang und Toiletten. Dazu gehört für alle Menschen, die durch eine Behinderung in Ihrer Mobilität eingeschränkt sind, auch Informationen zur Erreichbarkeit des Tanzplatzes mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Diese findet man auf Websites und Flyern jedoch sehr selten.
Es gibt inzwischen gesetzliche Regelungen zur digitalen Barrierefreiheit im Internet für öffentlich-rechtliche Anbieter und den Bereich der freien Wirtschaft. Vereine sind hiervon also ausgenommen. Trotzdem halte ich dies für ein wichtiges Thema. Denn mit Barrierefreiheit vergrößert sich die Gruppe von potenziellen Mitgliedern um 30 %. Außerdem bedeutet mehr Barrierefreiheit und die damit verbundene Förderung von mehr Teilhabe auch, sich in unsere inklusive Gesellschaft in geeigneter Weise einzubringen. Wenn dadurch SD-Clubs neue aktive Mitglieder gewinnen können, haben alle einen Vorteil dadurch. Diese Idee ist nicht neu. Henry Ford hat vor 100 Jahren die Grundlagen gelegt, aus denen sich unser heutiger moderner Square Dance entwickelt hat. Er hat damals schon darauf hingewiesen, dass Square Dance für Tänzer mit Handicap geeignet ist.
Die EAASDC wird auf ihrer neuen Website die Barrierefreiheit berücksichtigen. Für Square Dance Clubs versuche ich zurzeit, eine technisch einfache und preiswerte Lösung zu entwickeln, die ich empfehlen kann. Das Thema ist zu komplex, um hier im Detail darauf eingehen zu können. Zum Teil lassen sich bereits mit kleinen Veränderungen große Barrieren beseitigen. Nur Websites, die mit einem Web-Baukasten erstellt wurden, können nicht barrierefrei sein. Das gibt diese Technik aktuell nicht her.
Open House barrierefrei – Teil 3 von 6
Nach dem sich ein Interessent über Square Dance informiert hat, erfolgt meistens eine erste Kontaktaufnahme mit einem Club in der Nähe. Dabei kommt bei einer offensichtlichen Behinderung diese in aller Regel zur Sprache. Die Teilnahme eines Interessenten mit Behinderung am nächsten Open House ist dann also keine Überraschung.
Von Menschen, deren Behinderung nicht offensichtlich ist und sich nicht zwingend auf das Tanzen auswirkt, kann deren Einschränkung von diesen zunächst verschwiegen werden. Dies hängt von der Persönlichkeit ab und den Erfahrungen mit der Offenbarung der eigenen Situation. Frühere Ablehnungen in anderen Gruppen machen hierbei vorsichtig. Hinzu kommt der Wunsch nicht aufzufallen, sondern als ganz normal akzeptiert zu werden.
Bereits vor dem Tanzen beim Open House ist es wichtig, Interessenten mit Behinderung genauso zu begegnen wie Nichtbehinderten. Das bedeutet, die Person wird direkt angesprochen. Sollte eine Begleitperson dabei sein, muss der Fehler unterlassen werden, nur mit der Begleitperson die Kommunikation über „den Behinderten“ zu führen. Das mag sich befremdlich anhören, passiert im Alltag aber leider oft und kommt beim Betroffenen nicht gut an.
Beim Tanzen mit Sehbehinderten und Blinden ist es besonders wichtig, sauber zu tanzen. Denn je schlechter das Sehvermögen ist, umso geringer ist die Möglichkeit, eine Unkorrektheit auszugleichen. Ein blinder Tänzer wird sonst schlicht in die falsche Richtung geleitet und läuft dann auch in diese.
Bei Tänzern im Aktivrollstuhl werden ein paar Formationen etwas anders getanzt, weil dies für alle einfacher ist. Um den Aktivrollstuhl fortzubewegen oder punktgenau zum Stehen zu bringen, muss zumindest eine Hand zum richtigen Zeitpunkt am Greifring sein. Das – gut gemeinte – hilfreiche Ziehen und Schieben durch einen anderen Tänzer beeinträchtigt dies. Ein kurzes Zeichen oder Zuruf sind hier sicherlich die bessere Hilfe.
Wie Tänzer und Caller auf Menschen mit Behinderungen beim Square Dance Rücksicht nehmen können, wird im nächsten Artikel dieser Serie näher eingegangen. Allgemein gilt: Menschen mit Behinderungen sind selbst die besten Experten für ihre Bedürfnisse. Sie können selbst am besten erklären, was ihnen hilft und was sie nicht mögen.
Dies kann sehr unterschiedlich sein. Dies hängt ab vom Alter, in dem die Behinderung aufgetreten ist, sowie von der individuellen Fähigkeit und den Rahmenbedingungen, sich hieran anpassen zu können. Bei Sehbehinderten gibt es zusätzlich eine Vielzahl von Symptomen, die in unterschiedlicher Kombination und Ausprägung auftreten. Erfahrungen, die du als Nichtbehinderter mit einem Menschen mit Behinderung gemacht hast, solltest du also nicht auf andere Personen, mit einer vermeintlich gleichen Behinderung übertragen. Das führt in aller Regel zu Problemen.
Zum richtigen Helfen und sich helfen lassen, ist es am besten, wenn man offen darüber spricht.
Callen für Tänzer mit Behinderungen – Teil 4 von 6
Ich bin Tänzer und kein Caller. Deshalb bin ich Birgit Rudolf für ihre Unterstützung bei diesem Beitrag sehr dankbar. Sie wird im Folgendem beschreiben, worauf du als Caller achten solltest, wenn beim Open House Tänzer mit Behinderungen teilnehmen.
Mein Name ist Birgit Rudolf und ich calle bei den Dancing Eagles Cologne e. V. in Köln Holweide. Dabei habe ich bereits viel Erfahrung im Tanzen mit Blinden, Seh- und Hörbehinderten sammeln können.
Meine Freundin Sabine Paul, selbst Rollstuhlfahrerin und mittlerweile selbst Caller, hat mit mir die Calls besprochen und mir erklärt, ob und wie sie für Rollstuhlfahrer tatsächlich durchführbar sind. Dann hat sie mit mir gemeinsam Rollstuhlfahren geübt. So bekam ich ein Gefühl für die Sichtweise eines Rollstuhlfahrers. Als ich als Fußgänger mit ihr getanzt habe, auch das Gefühl für dieses Tanzen. Daraus entwickelten sich Tipps, die allen Teilnehmern gegeben werden können. Wir geben diese Tipps gern weiter.
Ich möchte, dass Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit haben in einen Club zu kommen und sagen zu können: „Ich würde gerne bei euch mittanzen“. Die Antwort von Caller und Vorstand des Clubs sollte dann nicht sinngemäß lauten: „Nein, das geht nicht, das haben wir noch nie gemacht und das machen wir auch nicht für dich“.
Umgang mit einer neuen Situation
Wenn in einem Square Dance Club ein Mensch mit Einschränkungen mittanzen möchte, ist das eine Herausforderung für den Caller, der er sich stellen sollte. Natürlich ist es auch eine Herausforderung an die Tänzer eines Clubs, für die diese Situation ebenfalls neu und unbekannt ist.
Doch auch für den neuen Tänzer ist der Tanzboden ein ungewohntes Parkett. Sie beziehungsweise er kennt allerdings die Herausforderung mit Sehenden, Hörenden und Fußgängern aus seinem normalen Alltag. Ohne Vorbereitung in diese Situation zu kommen, kann schwierig werden. Daher sollten wir uns mit dem Thema beschäftigen.
Daraus können sich folgende Alternativen ergeben:
- du gestehst dir als Caller ein, damit persönlich überfordert zu sein und kommunizieren dies auch so.
- du als Caller willst es persönlich nicht und kommunizieren dies auch so und legst die Ablehnung nicht in die Person des potenziellen neuen Teilnehmers.
- Caller, Vorstand und Tänzer setzen sich gemeinsam mit dieser Situation auseinander und gewinnen neue Erkenntnisse und neue Tänzer.
Als Caller muss du dir überlegen, schaffe ich das und nicht überlegen, ob es der Tänzer mit Behinderung schafft. Während einer Class, kann es immer passieren, dass dort ein Tänzer dabei ist, welche das Ziel nicht erreicht. Aber wir machen trotzdem weiter Classes.
Nach unserer Überlegung können wir aber auch sagen: „Wir haben es noch nicht gemacht und wissen nicht ob es funktioniert, aber wir probieren es gerne aus“.
Hier ein paar ausgewählte wichtige Tipps:
Als erstes geben wir unseren Tänzern mehr Zeit zum Lernen.
Zunächst wird zum Beispiel über die Website die Möglichkeit geschaffen, dass unsere Kurs- und Clubmitglieder, auf die schriftlichen Ausarbeitungen der Calls und Formationen barrierefrei zuzugreifen können.
Tanzen mit Rollstuhlfahrern
Rollstuhlfahrer benötigen mehr Platz, um etwas mehr Spielraum zu haben.
Seitwärtsbewegungen sind ein Problem, lassen sich aber leicht ersetzen. Vorwärts und rückwärts fahrend, nach rechts oder links fahren ist dagegen grundsätzlich kein Problem. Die Calls können manchmal nicht exakt ausgeführt werden.
Rollstuhlfahrer geben sehr oft keine Hände. Für uns Fußgänger zunächst verwunderlich, doch ziemlich einleuchtend. Der Rollstuhlfahrer muss mit den Händen die Räder bedienen!
In diesem Zusammenhang haben wir bei den Dancing Eagles Cologne nach dem Besuch einer Rollstuhlfahrerin mit Elektro-Rollstuhl festgestellt, dass sich mit diesem nicht tanzen lässt. Die Geschwindigkeit beim Richtungswechsel ist im Gegensatz zum Aktivrollstuhl zu langsam.
Für die Fußgänger im Square Dance Club ist es hilfreich, wenn an den Abenden regelmäßig ein paar Minuten ohne Hände getanzt wird. Nach einiger Zeit wird es für alle „normal“.
Ein kleines Beispiel für eine andere Ausführung eines Calls:
Ein Swing ist für einen Rollstuhlfahrer regelmäßig keine Option, da Aktivrollstühle sehr wendig sind und bei einem Swing leicht überdrehen können. Außerdem kann die Richtung verloren gehen und dem Rollstuhlfahrer könnte zusätzlich schwindelig werden.
Tanzen mit Blinden und Sehbehinderten
Die Beschreibungen der Calls müssen noch akkurater vermittelt werden. Ein „Wir drehen uns nach rechts“ oder ein Zeigen nach rechts bringt nicht unbedingt viel für jemanden, der nicht sehen kann.
Hier ist es auch wichtig zu wissen, ob die Person blind oder stark sehbehindert ist. Blinde benötigen beim Tanzen überwiegend leichten Körperkontakt oder – falls nicht möglich – eventuell eine akustische Hilfestellung, durch die Tänzer bei ihm.
Alle Teilnehmer müssen noch sauberer tanzen, da die Blinden und Sehbehinderten eine „Abkürzung“ der anderen nicht sehen können. Die Richtung für Ausgangsposition des nächsten Calls muss exakt stimmen.
Clubleben mit Hilfsbereitschaft – Teil 5 von 6
Barrierefreiheit ermöglicht Teilhabe und das bedeutet für mich, nicht nur dabei zu sein, sondern mich auch im Club zugehörig zu fühlen. Ein gutes Clubleben, in dem sich alle Mitglieder wohlfühlen, ist für mich etwas ganz Selbstverständliches.
Bei Tänzern mit Behinderung erfordert dies allerdings etwas mehr Achtsamkeit. Dazu ist es hilfreich zu verstehen, was das Leben und Erleben von Tänzern mit Behinderung im Club anders macht. Darum geht es im Folgenden.
Mobilität
Für Tänzer*innen mit und ohne Behinderung ist der Hin- und Rückweg zum Clubabend mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufwändiger und zeitintensiver als für Autofahrer. Dies gilt insbesondere für den Heimweg, da die Nachtfahrpläne weniger Verbindungen anbieten.
Ein blinder Tänzer zum Beispiel hat eine behinderungsbedingte Mobilitätseinschränkung, das gilt auch für andere Behinderungsarten, bei denen das Autofahren nicht möglich ist. Mit einer Behinderung ist man oft in der Situation, andere Menschen um Hilfe bitten zu müssen.
Es ist deshalb für Menschen mit Behinderung schön, wenn ihnen in einer immer wiederkehrenden Standardsituation Hilfe angeboten wird, bevor sie darum bitten müssen. Im konkreten Beispiel bedeutet dies, dass du als Autofahrer, der (fast) den gleichen Weg fährt, zuvorkommend die Mitnahme anbietest.
Blickkontakt
Tänzer, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind und gut sehen, können sich mit anderen sehenden Mitgliedern ganz normal über Blickkontakt verständigen. Für blinde und sehbehinderte Tänzer ist genau das nicht möglich. Das fällt mir immer wieder auf
- bei der Ankunft und dem Begrüßen,
- beim Finden des Tanzpartners für den nächsten Tip,
- bei der Suche nach einem Gesprächspartner in der Pause.
Denn je schlechter ich sehe, desto weniger kann ich wahrnehmen, wer sich in meiner Nähe oder weiter entfernt im Raum befindet. Ausnahmen sind vielleicht Menschen mit einer markanten Stimme und/oder Aussprache. Aber auch nur dann, wenn ich sie hören kann.
Orientierung und Selbstbedienung
Für sehbehinderte und blinde Mitglieder ist es je nach Sehvermögen nicht möglich, die angebotenen Getränke zu unterscheiden. Wenn du Hilfe bei der Auswahl und dem Bezahlen anbietest, ist das sicherlich kein Fehler. Ebenso schwierig ist es, sich in ausliegende Anmeldelisten für Clubbesuche oder Specials einzutragen. Hier kommt wieder das eingangs erwähnte Mobilitätsproblem hinzu.
Für sehbehinderte und blinde Tänzer*innen macht es zudem einen Unterschied, ob sie sich in den bekannten Räumen des eigenen Clubs bewegen oder auswärts in zunächst fremden Räumlichkeiten. Ein kurzer Rundgang in Begleitung zum Kennenlernen des neuen Ortes ist dann sehr hilfreich. Dies ermöglicht in der Regel eine spätere selbständige Orientierung.
Squaredancer sind gesellig und feiern gerne. Das bedeutet, je schlechter ein Mitglied sieht, desto schwieriger wird die Selbstbedienung am Potluck-Buffet. Denn auch wenn ich noch sehen kann, wo etwas auf dem Tisch steht, heißt das noch lange nicht, dass ich es als Sehbehinderter erkenne und Ähnliches unterscheiden kann.
Als Single oder Paar
Für ein sehbehindertes oder blindes Mitglied macht es in den genannten Situationen einen großen Unterschied, ob es allein oder mit einem Partner als Begleitung teilnimmt. Mit einem Partner ohne Behinderung ist es leichter, die notwendige Hilfe zu bekommen.
Trotzdem ist die genannte Achtsamkeit und Hilfsbereitschaft für die übrigen Clubmitglieder geboten. Denn für den Partner ist es eine Entlastung zu wissen, dass auch andere Mitglieder helfen, wenn man selbst zum Beispiel gerade in einem interessanten Gespräch ist.
In diesem Beitrag wurde der Schwerpunkt auf blinde und sehbehinderte Tänzer*innen gelegt. Denn bei ihnen wissen die Sehenden in der Regel kaum, wann welche Hilfe angebracht ist. Da es sich meist um Standardsituationen handelt, kann dies zu Beginn im Gespräch leicht geklärt werden. Für alle anderen Tänzer*innen ohne oder mit einer anderen Behinderung gilt dies nicht. Sie können problemlos an der nonverbalen Kommunikation mit Blickkontakt und Orientierung im Raum teilhaben.
Specials barrierefrei – Teil 6 von 6
Bei einem Clubabend in gewohnter Umgebung und mit bekannten Tänzer*innen sind die Rahmenbedingungen wesentlich einfacher als bei einem Special. Für Tänzer*innen mit Behinderungen ist die Recherche im Vorfeld noch aufwändiger, da sie keine Begleitperson haben, die spontan bei der Überwindung von Barrieren helfen kann.
Information und Anmeldung
Die Auseinandersetzung mit den Hürden im Square Dance fängt schon bei den Tänzer*innen zu Hause an. Denn Webseiten und PDF-Flyer sind in der Regel nicht barrierefrei gestaltet. Das hat zur Folge, dass blinde und sehbehinderte Tänzer*innen diese Informationen auch mit ihren Hilfsmitteln oft nicht lesen können. Es besteht also immer eine Abhängigkeit von sehenden Hilfspersonen. Dies liegt aber nur daran, dass diese Informationen erfragt werden müssen.
Für Tänzer*innen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, ist es aufwändig, im Vorfeld zu klären, ob der Tanzplatz für sie überhaupt nutzbar ist.
An- und Abreise
Mit einer Mitfahrgelegenheit ist es einfacher als mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Da viele Specials im ländlichen Raum stattfinden, ist das Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln abends und am Wochenende sehr übersichtlich.
Für Tänzer*innen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, können defekte Aufzüge an Bahnhöfen schnell zur Falle werden. Ist die Mobilität mit dem Auto gegeben, ist ein Behindertenparkplatz am Tanzplatz hilfreich.
Für blinde und sehbehinderte Menschen ist es dagegen mühsam bis schwierig, sich in fremder Umgebung zu orientieren. Treppen sind für sie kein Problem, aber die übliche Beschilderung hilft ihnen nicht weiter.
An Bahnhöfen sind zwar Umsteigehilfen mit Begleitung über die 3S-Zentralen erhältlich, aber nur nach rechtzeitiger Voranmeldung und an kleinen Bahnhöfen gibt es dafür kein Personal. Außerdem begleiten sie nur auf dem Betriebsgelände der Deutschen Bahn. Der Weg zu Bus und Bahn im Nahverkehr wird also nicht vollständig begleitet.
Bei Specials mit Übernachtung kommt die Organisation des Transfers zwischen Bahnhof, Unterkunft und Tanzplatz hinzu.
Auf vielen Flyern finden sich Anfahrtsbeschreibungen für Autofahrer, obwohl diese heute eher mit Navigationssystem unterwegs sind. Fehlerfreie und genaue Angaben zu den öffentlichen Verkehrsmitteln findet man dagegen nur selten. Auch habe ich auf einem Flyer noch nie einen Hinweis auf Behindertenparkplätze gelesen.
Der Tanzplatz
Während es für blinde und sehbehinderte Tänzer*innen schwierig sein kann, den Eingang zu finden, stellen schwergängige Eingangstüren für Tänzer*innen im Rollstuhl ein Hindernis dar.
In neueren Hallen gibt es in der Regel rollstuhlgerechte Toiletten. Bei älteren Hallen ist dies meist nicht der Fall, da es zum Zeitpunkt des Baus noch keine entsprechenden Bauvorschriften gab.
Für sehbehinderte Tänzer*innen ist eine kontrastreiche Raumgestaltung mit blendfreier Beleuchtung wichtig. Während einige Tanzplätze dunkler sind, als sie sein könnten, können andere durch direkte Sonneneinstrahlung zum Problem werden. An Treppen fehlen meist kontrastreiche Markierungen und die Beschilderung zu Umkleideräumen und Toiletten ist zu klein.
Für blinde Tänzer*innen spielen solche Hindernisse keine Rolle. Sie brauchen Räume, in denen sie sich gut orientieren können. Leitstreifen oder ein Indoor-Navigationssystem sind hier sehr hilfreich, sind aber bisher kaum im Bewusstsein der Hallenbetreiber.
Während Tänzer*innen im Rollstuhl keinen Stuhl, aber etwas mehr Platz am Tisch benötigen, ist es für blinde und sehbehinderte Tänzer*innen schwierig, ihren Sitzplatz in mittlerer Höhe an einer langen Tischreihe zu finden. Hier hilft im Moment nur, möglichst früh zu kommen, um eventuell noch einen geeigneten Platz zu finden.
Es gibt also viele Faktoren, die sich kaum recherchieren lassen. So bleibt nach entsprechender Vorbereitung immer ein Restrisiko, dass nach einer langen Anreise die Teilnahme am Special schwierig und anstrengend werden kann.
Anforderungen beim Tanzen
Ein Square mit einem Tänzer im Rollstuhl benötigt etwas mehr Platz. Schwieriger können für sehbehinderte Tänzer*innen die Lichtverhältnisse sein, die nicht beeinflusst werden können. Bei wenig Licht sind dunkel gekleidete Tänzer*innen fast unsichtbar. Sehbehinderte nutzen gerne das, was sie sehen, voll aus, werden dadurch aber behinderter gemacht, als sie sind. Für blinde Tänzer*innen ist es noch wichtiger als für Sehbehinderte, dass die anderen sieben Tänzer*innen im Square sehr sauber tanzen. Denn nur das gibt ihnen die nötige Orientierung. Einem*r schwerhörigen Tänzer*in kann vergleichsweise einfach mit einem Hearing Aid – System geholfen werden.
Für blinde und sehbehinderte Tänzer, die nicht nur mit ihrem Partner im gleichen Square tanzen, stellt das Finden des*r nächsten Tanzpartners*in ein besonderes Problem dar. Denn wenn sich ein Square auflöst, wird bei Sehenden der erste Blickkontakt zum nächsten Tanzpartner hergestellt. Während sehbehinderte Tänzer*innen dies mit der richtigen Strategie weitgehend kompensieren können, haben blinde Tänzer*innen hier kaum eine Chance.
Die Kaffepause
Das Kuchenbuffet kann sich aus Platzgründen auf einer anderen Etage befinden, die für Tänzer im Rollstuhl nicht erreichbar ist. Sehbehinderte können die Kuchen zwar sehen, aber nicht unbedingt erkennen und unterscheiden, während blinde Tänzer hier völlig auf Hilfe angewiesen sind. Besonders schwierig wird es, wenn zusätzlich Nahrungsmittelunverträglichkeiten bestehen. Denn eventuell vorhandene Beschriftungen können diese Tänzer nicht lesen. Hilfe von Mitgliedern des gastgebenden Clubs, die das Angebot entsprechend kennen, ist hier die beste Lösung.
Bei einigen Specials gibt es die grundsätzlich sinnvolle Beschränkung von nur zwei Kuchenstücken pro Teller. Für ein drittes Stück Kuchen muss man sich dann erneut anstellen. Für blinde und sehbehinderte Tänzer*innen, für die es schwieriger ist, sich an einem fremden Ort im Gedränge zurechtzufinden, wäre hier etwas mehr Flexibilität hilfreich.
Fazit
Square Dance selbst ist ein barrierefreier Tanzsport, insbesondere für blinde, sehbehinderte und hörbehinderte Tänzer*innen sowie für Tänzer*innen im Aktivrollstuhl. Um eine möglichst einfache Teilnahme zu ermöglichen, sind jedoch noch Anpassungen der Rahmenbedingungen notwendig. Für fast jede Hürde gibt es eine passende Alternative. Deshalb gilt: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
Mein Ziel mit dieser Artikelserie ist es, möglichst viele Tänzer*innen und Caller*innen für das Thema „Barrierefreiheit“ zu sensibilisieren. Das allein wird nicht reichen, aber es ist ein guter Anfang. In diesem Sinne werde ich mich als MaL Accessibility gerne weiter engagieren.
Ansprechpartner bei Fragen
Als MaL Accessibility ist es meine Aufgabe, zu Barrierefreiheit und Teilhabe beim Tanzen zu beraten. Du kannst mich einfach ansprechen, egal ob du einen Mitglieds-Club vertrittst oder Tänzer oder Leader bist.
Nachträgliche Anmerkung
Seit März 2025 bin ich in der EAASDC keine MaL Accessibility mehr. Trotzdem berate ich natürlich gerne jeden, der sich mit Fragen an mich wendet. Caller, die Fragen dazu haben, was sie als Caller beachten müssen, wenden sich jedoch besser direkt an Birgit Rudolf.