Was lange währt, fährt endlich gut
Henning Oeljen, Fahrradmechaniker “Werkhof” in Bremen – einem Laden des Verbundes Selbstverwalteter Fahrradbetriebe (VSF) -, beschreibt in diesem Beitrag, warum er erst nach säge und schreibe acht Monaten seinem Kunden das bestellte Fahrrad endlich übergeben konnte.
Allerdings: König Kunde brauchte auch ein ganz besonderes Rad, ein maßgeschneidertes, weil er zu den kleinwüchsigen Menschen gehört. Er bekam sein Unikat, wahrscheinlich das kleinste Rad der Welt, in gediegener Sonderausführung.
Diesen Beitrag durften wir mit der freundlichen Genehmigung des Autors nachdrucken, zuerst erschien er in der VSF-Zeitschrift “abfahren” 1/92.
Als Manni zum ersten Mal unseren Laden betrat, hatte ich gleich so ein Gefühl, als ob demnächst ein kompliziertes Problem auf mich zukäme. So hielt ich mich erst mal an seinen Begleiter, doch der zeigte nur auf Manni. Und Manni sprach die Worte, die ich befürchtet hatte: “Ich möchte ein Fahrrad.“
Als ein Zweimetermann bin ich ja mit allerlei Fahrradgrößen und -übergrößen gut vertraut – es ist irgendwie verständlich, dass die Kunden, die etwas länger gewachsen sind, häufig bei mir landen. Zumeist ist das Fahrradproblem bei großen Menschen im statischen Bereich angesiedelt und das ist mit etwas Engagement durchaus in den Griff zu bekommen. Mit den Jahren habe ich da so meine Erfahrungen gesammelt. Doch Manni und sein Anliegen versetzten mich zurück in die ersten Tage meiner Ausbildungszeit. Er ist um einiges kleiner als ich.
Auf meinen ersten Gedanken, ein gutes Kinderfahrrad umzubauen, reagierte das Schrittlängen-Messgerät mit einem energischen “Nein”. Der unterste Anschlag war noch viel zu hoch, keine Chance. Her mit der guten alten Wasserwaage, zwischen die Beine, und ich musste mich tief bücken, um die Zahl am Zollstock ablesen zu können. Die 44 Zentimeter sagten mir: Neuland, absolutes Neuland! Wer hier an eine rasche Problemlösung denkt, heißt Merlin und ist Zauberer.
Ich versuchte es zunächst einmal mit Fragen. Auf meine erste, ob er überhaupt schon jemals auf einem Rad gesessen habe, kam Erstaunliches ans Tageslicht. Doch, doch, meinte Manni, ein renommierter Fahrradhändler in Bremen habe ihm ja schon mal ein Fahrrad verkauft. Ein Bicycle Motocross (BMX)-Modell, mit 20″-Bereifung. Damit wir uns richtig verstehen: Diese Räder haben in der Regel eine Bodenfreiheit, die knapp 10 Zentimeter unter Mannis Schrittlänge liegt. Blieben also für die Rahmenhöhe genaugenommen noch ganze 12 Zentimeter. Und dann die Vorstellung, dass er mit seinen kurzen Beinen Kurbeln bewegt hat, die mit ihren 15 bis 18 Zentimeter fast die Hälfte der Beinlänge ausmachten. Womöglich war das Gerät dann noch ausgestattet mit der typischen Bicycle Motocross (BMX)-Übersetzung. Ich war kurz davor, mich für diese aberwitzige Beratung meines Kollegen zu entschuldigen.
Was war zu tun? Ich fing an, Kinder- und Bicycle Motocross (BMX)-Räder auszumessen, machte mir Gedanken über Längen und neue Geometrien. Es entstand ein erster Rahmenentwurf, ein kompetenter Rahmenbauer wurde auch gefunden. Als Manni der erste geheftete Proberahmen zu Gesicht kam, strahlte er schon mal. Es waren ja auch erst drei Monate vergangen. Der Rahmen ging zurück zum Rahmenbauer, wurde geändert und schließlich vollendet. Nun konnte der Beschichter seine Arbeit tun, und als er fertig war, waren wieder zwei Monate verstrichen. Was lange währt,… Hoffentlich. Immerhin konnte ich jetzt beginnen, Teile zu besorgen:
20″-Alufelgen, kurze Kurbeln mit einem ausreichend großen Kettenblatt und ähnlich Ausgefeiltes. Aber was wird mit der Übersetzung, und woher bekomme ich oh Graus – bunte Schutzbleche in passender Größe? Das Leben in einem Fahrradladen kann hin und wieder verdammt schwierige Fragen aufwerfen.
Aber es ging voran. Das Modell “Minirad” bekam eine 5-Gangnabe, vorne eine Cantileverbremse, ein wartungsfreies Tretlager und was man sonst noch so alles zum gediegenen Fahrvergnügen braucht. Die Halogenlampe wirft sogar ausreichend Licht – trotz der geringen Fahrgeschwindigkeit. Der schon erwähnte Rahmen, das gute Stück, setzt sich aus Reynolds-Rohren 531 zusammen, er ist 18 Zentimeter hoch und kunststoffbeschichtet. Der Gepäckträger sitzt gezwungenermaßen am Vorderrad, weil – was ich erst nicht einkalkulierte – der Durchmesse des Hinterrades größer ist als die Höhe des Sattels. Nothing is perfect: das Schutzblech ist wohl noch nicht die Ideallösung (dafür aber wunderschön grün), und der Sattel könnte vorn etwas kürzer sein. Für Manni ist es aber wichtig, dass er trotz seiner relativen Unbeweglichkeit ohne größere Schwierigkeiten aufsteigen, prima sitzen und über dem Rahmen stehen kann.
Ich muss sagen, dass ich ziemlich stolz war, als ich ihn das erste Mal auf seinem Rad die Straße entlangfahren sah. Und ich musste mich nochmals tief bücken, damit Manni mich glücklich umarmen konnte. Eine Geschichte, die nach viel trouble aussah, endete mit einem Happy End. Allerdings – und es ist mir schon etwas peinlich, dies eingestehen zu müssen – erst nach acht Monaten. Wären doch alle Kunden so geduldig wie Manni.