Behindertengerechte Radverkehrspolitik – vorerst eine Illusion
Barbara Bauer, Leiterin einer Arbeitsgruppe von behinderten und nichtbehinderten Radlern im Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) Münster, arbeitet mit ihrer Gruppe seit Jahren an der Verbesserung der Situation behinderter Radfahrer im Straßenverkehr. Einige Probleme dieser Verkehrsteilnehmer und mögliche Lösungsansätze sollen hier angesprochen werden.
Behinderte Radler sind heute mit den unterschiedlichsten Spezialfahrrädem auf unseren Straßen und Radwegen unterwegs. Oft ergeben sich für sie jedoch auf ihren Fahrten Probleme, die durch eine Radverkehrspolitik verursacht werden, die das Vorhandensein behinderter Radfahrer ignoriert.
Die meisten Radler mit einem Handicap fahren Dreiräder, Tandems und in erfreulich zunehmender Zahl auch Rollstuhl-Transporträder. Diese drei Fahrradtypen weisen jedoch bauartbedingt einige Eigenschaften auf, die in der heutigen Radfahrer- und Radwegelandschaft oft Schwierigkeiten mit sich bringen, die besonders von Behinderten nicht immer leicht zu bewältigen sind.
Sowohl Dreiräder als auch Tandems und Rollstuhltransporträder sind nur wenig wendige Gefährte. Schnelle Richtungswechsel können nur schwer vollzogen werden und die Kurvenradien, die ohne Sturzgefahr gefahren werden können, liegen weit über denen herkömmlicher Zweiräder. Die Radwege in den Städten sind heute jedoch oft nur mühsam von vorhandenen Fußwegen “abgezwackt” und dann auch noch häufig von Personenkraftwagen mehr oder minder zugeparkt.
Eine Fahrt auf ihnen gleicht deshalb meistens einem Slalom auf einem schmalen Pfad, immer in der Gefahr, einer sich plötzlich öffnenden Autotür ausweichen zu müssen. Auch das Abbiegen mit einem Spezialfahrrad kann wegen nahezu rechtwinkliger Radwegeführung an Einmündungen zum Problem werden. Aufgrund des großen Wendekreises der Fahrräder müssen sie nahezu zum Stillstand gebracht werden, um eine solche steile Kurve sicher zu bewältigen.
Die Lösung dieser Probleme müsste bereits bei der Radwegeplanung in Angriff genommen werden. Eine ausreichende Wegebreite von mindestens 1,50 Meter und eine möglichst gerade oder nur sanft geschwungene Radwegeführung auch in Kreuzungsbereichen würde die Situation für Radler mit Handicap bereits bedeutend entschärfen. Durch eine konsequentere Überwachung des Park- und Halteverbotes auf Radwegen und größere seitliche Abstände der Radwege von Parkplätzen und Parkbuchten könnten nicht nur den behinderten Radlern gefährliche Ausweichmanöver erspart und so die Unfallgefahr stark vermindert werden.
Probleme mit der Radwegebreite und durch auf Radwegen geparkte Personenkraftwagen ergeben sich durch die Überbreite von Dreirädern und Rollstuhltransporträdern. Deren Breite überschreitet mit bis zu über einem Meter bereits die Ausmaße mancher Radwege. Wer schon einmal versucht hat, ein Dreirad auf einem 1 bis 1,20 Meter schmalen Radweg entlang zu balancieren, kann die Unsicherheit vieler behinderter Radler verstehen. Zusätzlich sehen sie sich als oft langsamer fahrende Radler dann noch dem Klingelkonzert von schnelleren Zweiradfahrern ausgesetzt, die auf dem schmalen Pfad nicht überholen können.
Es gehört daher schon ein wenig Selbstvertrauen dazu, sich dadurch nicht den Spaß am Fahrradfahren verderben zu lassen! Aus diesen Gründen ist für eine die Belange behinderter Radler berücksichtigende Radwegeplanung eine Wegebreite von mindestens 1,50 Meter unerlässlich.
Ein ständiges Ärgernis in vielen Städten sind Drängelgitter beziehungsweise Umlaufschranken und Sperrpfähle, die installiert wurden, um den motorisierten Individualverkehr von Radwegen fernzuhalten. Was Radfahrern auf herkömmlichen Rädern nur etwas mehr Aufmerksamkeit abverlangt, kann für Radfahrer mit überbreiten Spezialrädern zeit- und kräfteraubende Umwege, sogar im schlimmsten Fall schwere Unfälle nach sich ziehen, wenn Abstände zwischen Sperrpfählen falsch abgeschätzt wurden.
Eine derartige Gefährdung von behinderten Radlern auf Radwegen ist nicht hinzunehmen. Es ist offensichtlich, dass Sperrpfähle Radler mehr gefährden als schützen. Man sollte sich daher nicht scheuen, die zuständigen Ämter in der Verwaltung anzusprechen und auf Entfernung derartiger Hindernisse zu drängen. Wo auf Sperrpfähle nicht verzichtet werden kann, sind diese auf einen Mindestabstand von 1,50 Meter zu bringen, damit zweispurige Fahrräder gefahrlos passieren können. Auf diese Weise könnten auch Umlaufschranken umgebaut werden, die in der Regel für Spezialräder und auch Tandems nicht passierbar sind.
Ein weiteres Problem für Dreiradfahrer und die Fahrer von Rollstuhltransporträdern sind stark geneigte Radwege, steil abgesenkte Garagenausfahrten sowie zur Straße hin langgezogene Bordsteinabsenkungen an Straßeneinmündungen und Kreuzungen.
Diese Fahrräder haben allgemein einen ungünstig hohen Schwerpunkt, so dass auf derart geneigten Fahrbahnen die Kippgefahr bei nötigen Lenkbewegungen erheblich erhöht ist. Außerdem kann die einseitige Neigung der Fahrbahn aufgrund des “Drei-Punkte-Kontaktes” des Rades mit dem Boden nicht durch Neigen des Fahrers in Gegenrichtung ausgeglichen werden. Der Körper des Rades muss sich stattdessen aus der Senkrechten in Richtung der ansteigenden Seite des Radweges biegen. Diese Haltung ist auf Dauer höchst unbequem und fällt besonders den Radlern schwer, die sowieso schon Probleme mit dem Gleichgewicht haben. Das Radeln könnte diesen Menschen erheblich erleichtert werden, wenn Radwege nur ganz leicht geneigt wären. Viele Straßenbauer meinen immer noch, Regenwasser müsste in Sturzbächen von Radwegen ablaufen, obwohl eine ganz leichte Neigung ausreichen würde.
Radwege sollten an Einmündungen so abgesenkt werden, dass beide Vorder- bzw. Hinterräder gleichzeitig die Absenkung oder den Anstieg erreichen.
An Garagenein- und ausfahrten würden kurze, steile Auffahrten reichen, welche die Radwegebreite nur unwesentlich beeinträchtigen.
Diese in den Niederlanden weit verbreitete Praxis hat sich sowohl für alle Radfahrer als auch für Rollstuhlfahrer und Autos bewährt.
Im übrigen ist nicht einzusehen, weshalb die Bordsteige generell so weit über der Fahrbahn liegen. Geringere Bordsteinhöhen finden sich bisher nur vereinzelt, obwohl sie für alle Verkehrsteilnehmer und insbesondere behinderte Radler viele Vorteile bringen würden.
Solange zu schmale, schlecht abgesenkte, zugeparkte, mit Hindernissen gespickte und durch Baumwurzeln aufgebrochene Radwege in den Städten die Regel sind, darf gerade für behinderte Radfahrer auf Spezialrädern die Benutzung solcher Wege nicht vorgeschrieben werden.
Bei extrem schlechten Radwegen sollte man dann auf die Straße ausweichen und dort weiterfahren.
Viele Radler halten Bordstein-Radwege für besonders sicher. Untersuchungen zeigen jedoch, dass es sich dabei eher um eine subjektiv empfundene Sicherheit handelt. Tatsächlich ereignen sich gerade in den Kreuzungsbereichen sehr viele schwere Unfälle durch abbiegende Kraftfahrzeuge.
Dagegen werden Radler und insbesondere die breiten Spezialräder, die auf der Straße fahren, frühzeitig von den Autofahrern wahrgenommen, so dass sich hier nur wenige Unfälle ereignen.
Noch viel Arbeit für Verkehrsexperten bietet auch der Bereich des Fahrradtransportes von Spezialfahrrädern vornehmlich in der Bahn, aber auch in Fahrzeugen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Es ist für Menschen mit einer Behinderung sehr kompliziert und erfordert viel Vorbereitung, ihr Spezialfahrrad mit der Bahn transportieren zu lassen. Bei der Konstruktion der Interregio-Züge mit Fahrradabteil, aber auch für die Gepäckwagen von D-Zügen wurde die Mitnahme von Dreirädern, Tandems oder Rollstuhltransportfahrrädern nicht eingeplant. So scheitert eine Radreise mit Bahn und Rad oft schon bei der Reservierung, spätestens jedoch beim Verladen des Gefährtes.
Im Bereich des ÖPNV gibt es ebenfalls kaum Möglichkeiten der Mitnahme von Spezialfahrrädern. Für Behinderte ist die Kombination von Fahrrad und Bus besonders wichtig. Viele Ziele sind mit dem Rad allein nicht erreichbar, andererseits wird das Fahrrad nach der Busfahrt noch benötigt, weil lange Wege zu Fuß nicht mehr zurückgelegt werden können. Behinderte sollten gerade daher auch durch die öffentlichen Verkehrsmittel in ihrer Mobilität unterstützt werden.
Im Bereich der Radverkehrsplanung bezüglich Radlern mit Handicap liegt noch sehr vieles im Argen. Die Belange behinderter Radler werden in der Regel weder wahrgenommen noch berücksichtigt. In einer Zeit, in der viele Politiker, Gemeinden, Institutionen und Mitbürger ihre Bemühungen um die Integration Behinderter herausstellen, sind auf dem Gebiet des Radverkehrs erschreckend wenige Ergebnisse zu verzeichnen.
Die Tatsache, dass ein Fahrrad ein wichtiges Hilfsmittel zur Mobilitätssteigerung und zur sozialen Integration für Menschen mit Handicap darstellt, ist noch nicht in das allgemeine Bewusstsein vorgedrungen.
Die Arbeitsgruppen behinderter und nichtbehinderter Radler im ADFC sehen daher eine ihrer Hauptaufgaben in der Stärkung eines solchen Bewusstseins in der Bevölkerung, in den Ämtern und Institutionen und damit nicht zuletzt bei den Radverkehrsplanern.